Wieder in Leipzig und mein Date mit einer Prostituierten!


Aber fangen wir von vorne an: Bei dem letzten Ausflug nach Leipzig gab es ein paar Unstimmigkeiten zum Thema Datenschutz zwischen dem Hotel und unserer Reisegruppe von Betroffenen. Die mich kennen wissen, ich bin jemand, der nicht aufgibt und an Dingen, die falsch laufen, auch dranbleibt. Und so durfte ich Herrn Dressler, den Hoteldirektor des Lindner- Hotels in Leipzig, nach einem intensiven Telefongespräch kennenlernen. Gemeinsam schafften wir das Problem aus der Welt und Herr Dressler bat mich, ihn über meine zukünftigen Reisepläne mit Ziel Leipzig zu informieren.

Nun haben wir Anfang März und ich beschloss, meine Kontakte nach Torgau etwas zu intensivieren und an der Buchlesung von Gerd Keil und Manuela Keilholz teilzunehmen. (Die beiden Bücher stellen wir euch noch gesondert vor)

So kam ich also am Freitag erfolgreich in Leipzig im Hotel an und da mein Zimmer noch nicht fertig war, weil ich natürlich wie immer viel zu früh da war, nutzte ich die Zeit, um etwas zu essen. Nach dem Essen traf ich mich dann mit Herrn Dressler, dem Hoteldirektor. Ja, wir hatten ein sehr spannendes und interessantes Gespräch und ich hatte einen Menschen vor mir, welcher sehr offen und interessiert an das Thema Missbrauch heranging, und ich glaube, die Angestellten haben das Glück, einen offenen, engagierten und aus meiner Sicht auch verständnisvollen Direktor zu haben. Aber auch alle anderen Mitarbeiter waren sehr freundlich und ich habe mich sehr wohl gefühlt.

Und so ließen sich dann – mit Blick auf den Samstag – auch schwierige Themen meistern. Dann war endlich Samstag und ich machte mich auf den Weg nach Torgau, in die Gedenkstätte „geschlossener Jugendwerkhof Torgau“, und wie immer war ich mal wieder viel zu früh. Also nutzte ich die Zeit und schaute mir in aller Ruhe die Ausstellung nochmals an. Diesmal war ich fast alleine und ließ mich einfach von der Stille treiben. Von Corinna wurde ich aus meiner Vertiefung gerissen und stellte fest, dass es ja schon fast 13:00 Uhr war. Endlich lernte ich noch ein paar andere der Selbsthilfegruppe kennen und durfte mich an dem Kuchen stärken. Bis zur Buchlesung wurden noch viele interessante Gespräche geführt und ich hörte sehr spannende Geschichten. Endlich begann die Buchlesung! Gerds Geschichte kenne ich ja schon, mit der habe ich mich schon bei meinem vorletzten Besuch in Leipzig beschäftigt, dort war das öffentliche Hearing zur Aufarbeitung des Missbrauchs in der DDR. Aber von seiner Frau wusste ich bisher sehr wenig. Ja, die Buchlesung war sehr, sehr interessant und es wurde beschlossen, diese Buchlesung auch bei mir zu Hause anzubieten. Mittlerweile war es 18:00 Uhr und ich war auf dem Rückweg ins Hotel.

Aus meiner Verabredung ist an diesem Tag leider nichts mehr geworden, da es ihrer Tochter nicht gut ging. Also ging ich ins Hotel und
habe erst einmal ganz in Ruhe gegessen und an meinem Seminar gearbeitet. Gegen 22.00 Uhr beschloss ich dann noch etwas zu unternehmen, etwas die Stadt anzuschauen und einfach mal draufloszulaufen. Ich war vielleicht eine halbe Stunde unterwegs gewesen, als ich von einem jungen Mädel angesprochen wurde.

„Blasen 20, Ficken 30 und ohne Gummi 50.“ Das ist doch mal eine Aussage! Und was mache ich jetzt damit?

Da steht dort ein Mädel, das scheinbar ganz dringend und egal wie – Geld braucht. Sein Aussehen, seine ganze körperliche Erscheinung zeigt einen Menschen, der wahnsinnig viel durchgemacht haben muss in seinem bisher sehr kurzen Leben. Und ihm wird es wahrscheinlich noch länger vorkommen als mir.

Nun, ich konnte mich aus meiner in Gedanken verlorenen Starre wieder befreien, und holte mein Portemonnaie aus der Tasche und zog einen 50-€-Schein hervor.

„Ich bin gerade an einem Imbiss vorbeigekommen und du siehst aus, als könntest du was zu essen vertragen. Ich würde dir 50,00 € zahlen, wenn du mir beim Essen Gesellschaft leistest!“ Da war nun also ein völlig verunsichertes Mädchen, das auf jeden Fall das Geld brauchte und alles dafür tun würde, zumindest alles Eklige, Schmutzige und Perverse. Doch würde es einfach mit jemanden zum Essen gehen? „Nimm es oder lass es bleiben, die Entscheidung liegt allein bei dir! Ich möchte dich nicht ficken oder will, dass du mir einen bläst, aber ich würde gerne was essen und dabei wäre Gesellschaft doch was Schönes.“ Das Mädchen nahm sich die 50,00 € und so gingen wir gemeinsam zum Essen. Ich merkte schon, dass ich wohl das Gespräch suchen musste. Dass sie von sich aus anfängt zu reden, war für 50,00 € bestimmt auch zu viel verlangt. Und wenn ich es recht bedenke, das erste Date mit meiner Exfrau war deutlich teurer gewesen. „Na gut“, sage ich und reiche ihr die Karte. Sie zeigte auf etwas und ich fragte: „Noch etwas zu trinken?“

Auch dies wurde nur mit einem Fingerzeig beantwortet! Ja, ich weiß, dass sie reden kann, aber was zu Essen zu bestellen, scheint um einiges schwieriger zu sein, als jemanden zu fragen, ob er sie ficken will. Naja, ich bin ja nicht nachtragend und was soll ich für 50,00 € auch erwarten? Also rufe ich die Kellnerin, welche uns schon ganz fragend anschaut. Ich würde sie gerne fragen, was sie gerade denkt. Fragen würde ich gerne, aber wissen möchte ich es eigentlich nicht und so schiebe ich den Gedanken beiseite und bestelle uns das Essen, für mich eine kleine und für sie eine große Portion, eine ganz große. Sie kann es vertragen!

Nun fing ich halt einfach mal an zu reden. Ich erzählte von meinen alkoholkranken Eltern, wie ich ins Heim gekommen war, über meinen Missbrauch und die ganze andere Scheiße, die so in meinem Leben passiert ist.

Nun kam auch das Essen und ich aß erst einmal; was sie da machte, wusste ich nicht, aber es schien ihr zu schmecken. Ihr Getränk hatte sie zwischenzeitlich auch geleert und mein Teller war bereits leer, also nutzte ich die Gelegenheit, bestellte ihr ein neues Glas und redete einfach weiter. Ja, ich weiß, das ist unhöflich, aber weiß ich, ob mein Date nicht nach dem Essen einfach aufsteht und weggeht? Weiß ich nicht, also nutzte ich die Gelegenheit und redete halt einfach weiter, da, wo ich aufgehört hatte. Davon, wie ich nicht mehr hatte leben wollen und welche Menschen mir geholfen hatten. Und ich erzähle ihr ganz, ganz viel von meiner Anika. Davon, wie wir uns gegenseitig unterstützt hatten und dass ich es nie ohne diesen Menschen geschafft hätte, heute hier zu stehen. Und natürlich von all den Menschen, die danach noch gekommen waren, von Maik und Denia, von Romain und von B.A.C.A., einem Haufen Kuttenträgern, welche ich zu meinen Freunden zählen darf.

Sie schaute mich an und siehe da, sie konnte auch was anderes als „blasen und ficken“ sagen. SONJA war ihr Name und ich war begeistert. Noch nie habe ich mich so sehr gefreut, von jemandem den Namen zu erfahren. Nach weiteren zwei-einhalb Stunden kannte ich ihre Geschichte. Ich weiß von der Mutter, die Alkoholikerin ist, und auch von dem Stiefvater, der -wie soll es auch anders sein – ebenfalls Alkoholiker ist und sieregel-mäßig vergewaltigt hatte. Bis sie es schaffte zu fliehenund an jemanden geriet, der sie noch mieser behandelte undsie auch noch unter Drogen setzte. Nun lebt sie auf der Straßeund versucht irgendwie zu überleben, den nächsten Tag zuüberstehen und sich irgendwie mit Drogen über Wasser zuhalten.

Ich ließ mir von der Kellnerin noch ein großes Blatt Papiergeben und einen Stift, sowie für uns beide noch ein Dessert –schließlich gehört dies doch zu einem romantischen Candle-Light-Dinner dazu! Und ich war glücklich, denn zum ersten Malan diesem Abend sah ich Sonja lächeln und es war ein schönesLächeln. Den Zettel beschrieb ich mit Adressen und Kontakt-daten von Stellen, an welche sie sich wenden kann und wo sieHilfe bekommt, wenn sie Ihr Leben ändern will. So gingen wirbeide gemeinsam vor die Tür, und als ich ihren Kopf in dieHände nahm und mich mit einem Kuss auf die Stirn von ihrverabschiedete, bekam ich noch ein Lächeln geschenkt unddann trennten sich auch schon unsere Wege.

Ich liege nun endlich im Bett und schaffe es auch irgendwann einzuschlafen. Ich weiß nicht, ob Sonja sich Hilfe sucht, ob sie diese über-haupt annehmen kann und wenn ja, wann. Auch weiß ich nicht, ob sie es je schaffen wird, doch ich habe alles getan und möchte Sonja mit diesem überaus schönen Lächeln in Erinnerung behalten. Ein ganz großer Dank geht an dieser Stelle auch nochmal an Herrn Dressler, den Hoteldirektor vom Lindner-Hotel. „Danke für Ihre Einladung, ohne diese hätte ich Sonja nicht kennengelernt.

Vielleicht konnte ich ihr helfen, sich selbst zu helfen.“